Wer schrieb die Evangelien wirklich?
Die vier Evangelien – Matthäus, Markus, Lukas und Johannes – sind das Herzstück und Fundament des Neuen Testaments. Sie berichten vom Leben, Sterben und der Auferstehung Jesu Christi und bilden damit die zentrale Grundlage des christlichen Glaubens. Doch obwohl sie zu den bekanntesten und einflussreichsten Texten der Weltgeschichte gehören, stellen sich viele – Christen wie auch Skeptiker – eine entscheidende Frage:
Wer hat diese Texte wirklich verfasst?
Können wir den überlieferten Namen vertrauen?
Welche Hinweise liefern die Bibel selbst und frühchristliche Quellen?
Diese Fragen sind keineswegs nur für Theologen von Interesse. Sie betreffen jeden, der wissen möchte, ob die Evangelien bloß fromme Legenden oder tatsächlich glaubwürdige historische Zeugnisse sind. Denn wenn die Evangelien tatsächlich auf Augenzeugen oder deren unmittelbare Begleiter zurückgehen, dann haben wir es nicht nur mit religiösen Schriften, sondern mit ernstzunehmenden historischen Dokumenten zu tun.
Historiker und Bibelwissenschaftler untersuchen daher sorgfältig die Entstehungsgeschichte dieser Texte. Sie analysieren sprachliche Merkmale, vergleichen Manuskripte und ziehen Aussagen der Kirchenväter heran. Auch die Evangelien selbst enthalten Hinweise auf ihre Autoren, wenn auch oft indirekt. Die frühesten überlieferten Namen – Matthäus, Markus, Lukas und Johannes – stammen aus der frühen kirchlichen Tradition, wurden aber nicht von den Evangelien selbst genannt. Dennoch gibt es gewichtige Argumente dafür, dass diese Zuschreibungen auf realen Personen mit direktem oder indirektem Zugang zu den Ereignissen zurückgehen.
Gerade in einer Zeit, in der historische Verlässlichkeit immer wieder hinterfragt wird, ist die Auseinandersetzung mit diesen Fragen wichtiger denn je. Denn die Glaubwürdigkeit der Evangelien betrifft nicht nur die Geschichte des frühen Christentums, sondern auch die Frage, ob der christliche Glaube auf einem soliden Fundament steht.
Evangelium | Verfasser (Tradition) | Biblischer Bezug | Frühkirchliche Bestätigung |
---|---|---|---|
Matthäus | Matthäus, der Apostel | Matthäus 9,9 | Papias, Irenäus |
Markus | Johannes Markus, Schüler Petrus | 1. Petrus 5,13; Apg 12,12 | Papias, Justin, Tertullian, Irenäus |
Lukas | Lukas, Arzt, Begleiter Paulus | Kol 4,14; 2. Tim 4,11 | Muratorischer Kanon, Irenäus |
Johannes | Johannes, der Apostel | Johannes 13,23; 21,24 | Irenäus, Eusebius, Muratorisches Fragment |
Der Kirchenvater Papias von Hierapolis (ca. 100–130 n. Chr.) zitiert direkte mündliche Überlieferungen über die Evangelien. Seine Aussagen gelten als eine der ältesten Stimmen zur Evangelienentstehung:
Papias betont mehrfach, dass er Informationen von Zeitzeugen wie Aristion oder „Johannes dem Älteren“ persönlich gehört habe. Seine Aussagen sind wenige Jahrzehnte nach dem Tod Jesu belegt – ein bedeutendes Indiz für die frühe Autorenzuschreibung.
Biblische Hinweise:
Matthäus wird als Zöllner und Apostel Jesu berufen (Matthäus 9,9).
Er war einer der Zwölf (Matthäus 10,2–4).
Frühkirchliche Quellen:
Papias (um 110 n. Chr., zitiert bei Eusebius, Kirchengeschichte 3,39,16):
„Matthäus sammelte die Worte [Jesu] in der hebräischen Sprache, und jeder übersetzte sie so gut er konnte.“
Irenäus (ca. 180 n. Chr., Adversus Haereses 3,1,1):
„Matthäus schrieb bei den Hebräern in ihrer Sprache ein Evangelium, während Petrus und Paulus in Rom das Evangelium verkündeten.“
Wertung:
Frühe Zuschreibung direkt an einen Apostel.
Ursprünglich in Hebräisch oder Aramäisch verfasst, später ins Griechische übertragen.
Bewertung: Wenn Matthäus selbst erste Sammlung verfasste, ist die griechische Version wahrscheinlich eine frühe Übersetzung dieser Urfassung. Das macht Matthäus zu einem der engsten Augenzeugen.
Biblische Hinweise:
Markus war der Sohn der Maria (Apg 12,12) und ein Verwandter des Barnabas (Kolosser 4,10).
Er wird als Begleiter des Petrus erwähnt (1. Petrus 5,13: „Mein Sohn Markus“).
Auch Paulus erwähnt ihn als Mitarbeiter (2. Timotheus 4,11).
Frühkirchliche Quellen:
Papias (Eusebius, Hist. Eccl. 3,39,15):
„Markus, der Dolmetscher des Petrus, schrieb genau alles auf, was er von Petrus gehört hatte, obwohl er Jesus selbst nicht begleitet hatte.“
Justin der Märtyrer (ca. 150 n. Chr.) bezeichnet das Markusevangelium als „die Memoiren des Petrus“ (Dialog mit Trypho, 106).
Irenäus:
„Markus, der Schüler und Dolmetscher des Petrus, überlieferte uns schriftlich das, was Petrus verkündigte.“
Wertung:
Markus war kein direkter Augenzeuge, aber ein enger Vertrauter und Schreiber des Petrus.
Der Text spiegelt viele Details aus Petrus’ Perspektive wider (z. B. Markus 1,36; 9,2–6).
Bewertung: Markus liefert kein direktes Augenzeugenevangelium – aber eines aus erster Hand überliefert durch den Apostel Petrus.
Biblische Hinweise:
Lukas war Arzt und enger Gefährte des Paulus (Kolosser 4,14; Philemon 24).
Er ist der Verfasser eines zweiteiligen Werks: Evangelium + Apostelgeschichte.
Lukas schreibt als sorgfältiger Historiker (Lukas 1,1–4):
„Nachdem viele es unternommen haben, einen Bericht über die Ereignisse abzufassen […], habe auch ich es unternommen, alles von Anfang an genau zu erforschen […] und es geordnet niederzuschreiben.“
Frühkirchliche Quellen:
Irenäus:
„Lukas, der Begleiter des Paulus, schrieb das von ihm verkündete Evangelium nieder.“
Muratorisches Fragment (ca. 170 n. Chr.):
„Das dritte Evangelium ist das des Lukas. Dieser war ein Arzt, ein Begleiter des Paulus. […] Er hat berichtet, was er von Paulus hörte.“
Wertung:
Lukas stützt sich auf Augenzeugenberichte (Lk 1,2).
Sehr hoher literarischer und historischer Anspruch.
Bewertung: Lukas war kein Augenzeuge, aber ein herausragender Historiker, der auf Augenzeugenberichte und sorgfältige Recherche zurückgreift.
Biblische Hinweise:
Autor nennt sich „der Jünger, den Jesus liebte“ (Johannes 13,23; 19,26; 20,2; 21,7).
Am Schluss schreibt er selbst (Johannes 21,24):
„Dies ist der Jünger, der von diesen Dingen Zeugnis ablegt und dies geschrieben hat.“
Johannes war Teil des inneren Kreises (Matthäus 17,1; Markus 5,37).
Frühkirchliche Quellen:
Irenäus:
„Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust ruhte, veröffentlichte ein Evangelium, während er in Ephesus lebte.“
(Adv. Haer. 3,1,1)
Eusebius zitiert zahlreiche Kirchenväter, die Johannes als Verfasser bezeugen (Hist. Eccl. 3,24).
Wertung:
Ein Augenzeugenbericht eines Apostels.
Theologisch tiefgründig und einzigartig.
Bewertung: Johannes war Augenzeuge, gehörte zum engsten Kreis Jesu und überliefert ein theologisch tiefes, persönlich gefärbtes Evangelium.
Evangelium | Entstehungszeit | Augenzeugenschaft möglich? |
---|---|---|
Markus | ca. 60–70 n. Chr. | Ja – Petrus lebte bis ca. 64 n. Chr. |
Matthäus | ca. 60–85 n. Chr. | Ja – Matthäus war ein Jünger |
Lukas | ca. 60–85 n. Chr. | Indirekt – gründliche Recherchearbeit |
Johannes | ca. 90–100 n. Chr. | Ja – Johannes lebte bis ins hohe Alter |
Diese zeitliche Nähe zu den Ereignissen um Jesus macht es sehr wahrscheinlich, dass keine Mythenbildung stattgefunden hat, sondern authentische Erinnerung im Vordergrund steht.
Kurz gesagt: Die Evangelien sind keine frommen Legenden, sondern fundierte Zeugnisse, die auf zuverlässigen Quellen beruhen.
Wenn die Evangelien tatsächlich:
…dann können wir der Bibel vertrauen – nicht blind, sondern auf Basis von Quellen, Belegen und Vernunft.
Und wenn ihre zentrale Botschaft – der Tod und die leibliche Auferstehung Jesu – wahr ist, dann ist auch sein Anspruch wahr:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ (Johannes 14,6)
Die Analyse biblischer und außerbiblischer Quellen zeigt: Die Evangelien wurden
„Denn wir sind nicht klugen Fabeln gefolgt, als wir euch die Macht und Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus kundgetan haben, sondern wir haben seine Majestät mit eigenen Augen gesehen.“ – 2. Petrus 1,16